Aikidō für Kinder, Frauen, Alte und Schwache?!

Sieht man sich Werbung für Aikidō-Schulen an, fällt auf, dass oft damit geworben wird, Aikidō sei besonders für Kinder, Frauen und Senioren geeignet, sprich für schwache, kraftlose Menschen, weil man im Aikidō keine Kraft benötigte. Dieses Argument wird manchmal so breit getreten, dass man meinen könnte, sportliche, gut durchtrainierte Männer zwischen 20 und 50 Jahren seien völlig unerwünscht und könnten sich vom Aikidō-Training sowieso keinen positiven Effekt erhoffen.

Sieht man sich allerdings berühmte Meister an, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass die allermeisten auch in fortgeschrittenem Alter noch topfit und nicht eben schwach sind. Auch der Gründer des Aikidō, Ueshiba Morihei, wog zu seinen besten Tagen 80 kg bei gerade mal 1,57 cm und zeigte auch im hohen Alter noch einen muskulösen Körper. Übrigens gehört es zur Legenden­bildung aller berühmten Kampfkunstmeister, dass sie im Kindesalter klein, schwach und kränkelnd waren. Das erzählt man sich vom Aikidō-Gründer genauso wie vom Jūdō-Gründer Kanō Jigorō und vom Karate-Übermittler Funakoshi Gichin. Punkt dieser Legendenbildung ist aber gerade, dass alle diese Meister durch die Kampfkünste zu kräftigen und gesunden Menschen herangewachsen sind.

Natürlich kann (fast) jeder Mensch Aikidō trainieren. Das ist sogar einer der Punkte, die es von vielen anderen Sportarten unterscheiden: Weil es keine Wettkämpfe gibt und die Kooperation und Gemeinschaft der Trainingspartner besonders betont wird, ist es Breitensport im besten Sinne des Wortes. Aber leider wird der „kraftlose“ Aspekt des Aikidō oft dahingehend missverstanden, dass man auch „schwach“ bleiben soll, weil man ja „keine Kraft braucht“. Es gibt so einige Praktizierende, die ihre Schwäche wie einen Schutzschild vor sich halten, sobald es im Training mal darum geht, ihre Körperkraft, ihre Gelenkigkeit oder ihre Ausdauer zu verbessern. Und wundern sich dann, wenn sie keine Fortschritte machen.

Dass Aikidō auch für schwache Menschen geeignet ist, kann nämlich nicht bedeuten, dass Aikidō eine Beschäftigungstherapie für Schwächlinge ist und solche, die es bleiben wollen. Egal ob männlich oder weiblich, am menschlichen Alterungsprozess kann man nichts ändern. Aber man kann den üblichen Verfallserscheinungen entgegenwirken, indem man regelmäßig Sport treibt. Auch wenn Knochen und Gelenke mit zunehmendem Alter porös bzw. steif werden, gibt es etwas, was man auch bis ins hohe Alter hinein immer wieder neu aufbauen kann: Muskeln! Und mit dem richtigen Muskelaufbau können wir nicht nur unsere allgemeine Kondition und Ausdauer verbessern, sondern auch unsere Gelenke stützen und vor Verletzungen schützen. Ganz abgesehen davon wirkt regelmäßiges Training auch dem Knochenabbau entgegen.

Genauso wie selbst hochbetagte Senioren also ihre körperliche Verfassung durch regelmäßiges Training verbessern können, ist karada-zukuri, der Körperaufbau, ein wichtiger erster Schritt für alle Anfänger im Aikidō. Allein schon, um richtig fallen zu lernen ohne sich zu verletzen (Ukemi), ist es nötig, gelenkiger zu werden und die nötigen Muskelpartien aufzubauen. Und so wie muskulöse, gut durchtrainierte Leichtathleten in der Lage sind, scheinbar mühelos (ohne Kraft) Weltrekorde zu erzielen, ist man auch im Aikidō nur dann in der Lage, seine Partner mühelos und ohne Kraft zu werfen, wenn man sich einen entsprechenden Muskelapparat und die dazu passende Fitness angeeignet hat. Denn „ohne Kraft“ im Aikidō bedeutet nicht schlaff und kraftlos!

(Autor: Max Seinsch)

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Comments: 5
  • #1

    Svenja (Thursday, 06 June 2013 11:41)

    Ich habe auch sehr überrascht festgestellt, dass ich nach einem halben Jahr Training Muskeln in den Oberarmen und Schultern bekommen habe. Hätte ich so nicht gedacht. ch dachte viel eher, dass man im Aikido vor allen Dingen eine gute Beinmuskulatur bekommt, weil es eben sehr viel um Beinarbeit geht (und natürlich das ständige Wiederaufstehen). Was vielleicht dabei aber ein interessanter Aspekt ist, ist der natürliche Muskelaufbau mit möglichst natürlichen Bewegungen, und nicht der Muskelaufbau um jeden Preis wie z.B. beim Judo (ich sag nur Situps und Liegestützen). Der Körper entwickelt sich mit dem Training und man versucht nicht möglichst viele Einzelteile am Körper aufzubauen, damit man sie dann später irgendwie ins Training integrieren kann. Das hat mich persönlich auch immer beim Fitnessstudio gestört - wozu die ganzen großen Muskeln aufbauen, wenn für einen starken Körper doch so viele Muskeln mehr zählen?

    Just my few cents.

  • #2

    Max Seinsch (Friday, 07 June 2013 08:04)

    Danke für Deine paar Cent. (Das hätten ruhig ein paar mehr sein können, von irgendwas muss ich ja schließlich auch leben.) ;)
    Ich bin ganz Deiner Meinung. Vom Aufbau einzelner Muskelgruppen, wie es im Fitnessstudio betrieben wird, halte ich auch nicht viel. Weil, wie Du sagst, diese Muskelpartien hinterher mühsam integriert werden müssen, damit sie zusammenarbeiten können. Ein solcher integrierender Muskelaufbau ist im eigentlichen Aikido-Training viel besser gewährleistet.
    Und oft ist es auch notwendig, Anfängern zu sagen, sie sollen sich entspannen, damit sie nur die Muskeln benutzen, die für eine bestimmte Bewegung nötig sind. Was mich aber stört, ist dieser Mythos, dass Aikido völlig ohne Kraft funktioniert. Oder anders gesagt, dass Aikido kein "Sport" sei. Gerade das führt auch zu solchen Missverständnissen, dass man nicht fit sein oder beim Training gar schwitzen oder außer Atem kommen müsse. Und das halte ich eben für Unfug. Ich habe nämlich auch die Erfahrung gemacht, dass man sich als Anfänger und auch als Fortgeschrittener erst dann wirklich entspannt, wenn man erschöpft ist. Sobald man außer Puste kommt und langsam den Punkt erreicht, wo man meint, nicht mehr aufstehen zu können, entspannt sich der Körper und benutzt nur noch die Muskelpartien, die für die jeweilige Bewegung absolut notwendig sind. Das ist auch der Punkt, wo man anfängt, sich eine Bewegung bzw. Technik wirklich anzueignen oder einzuverleiben. Auch weil der Intellekt abschaltet und nicht mehr dazwischen funkt.
    Aber solange dem Aikido der Nimbus des "Unsportlichen" anhaftet, werden viele Trainierende diesen Punkt nicht erreichen. Wie schade!

  • #3

    Peggy (Friday, 04 October 2013 20:06)

    Hallo Max, Sensei

    Wenn wir uns näher kennen beim Training dann kannst du gerne mal die Erfahrungen mit mir posten in deinem Blog zum Thema Aikido und Sehbehinderung. :D

    Ganz liebe Grüsse

  • #4

    Sanjuuichi (Thursday, 19 May 2016 12:10)

    Folgender Satz ist mir beim Lesen gerade besonders aufgestoßen: "Sieht man sich Werbung für Aikidō-Schulen an, fällt auf, dass oft damit geworben wird, Aikidō sei besonders für Kinder, Frauen und Senioren geeignet, sprich für schwache, kraftlose Menschen, weil man im Aikidō keine Kraft benötigte." Kinder, Frauen und Senioren als Synonym für schwache und kraftlose Menschen??? Ich wollte mich eigentlich gerade für einen Kurs anmelden, aber ich glaube, ich suche mir besser eine Schule mit weniger diskriminierenden Vorurteilen.

  • #5

    Max Seinsch (Thursday, 19 May 2016 15:34)

    Hallo Sanjûichi,
    danke für Deinen Kommentar.
    Mit dem von Dir zitierten Satz wollte ich eigentlich nur etwas wiederholen, was man so oder ähnlich immer wieder als Werbespruch für Aikidô- und andere Kampfkunstschulen finden kann. Mit der Zusammenfassung "sprich für schwache, kraftlose Menschen" habe ich diesen Slogan zugegebenermaßen etwas überspitzt, um in den Hauptteil meines Aufsatzes überleiten zu können.
    Damit wollte ich keinesfalls meine eigene Meinung gegenüber Kindern, Frauen oder Senioren zum Ausdruck bringen, ganz im Gegenteil. Mir geht der zitierte Werbespruch gegen den Strich, weil damit meines Erachtens ein falscher Eindruck von Aikidô als "sanfter Bewegungsform, bei der mensch nicht zu schwitzen braucht", vermittelt wird. Und das ist es meiner Erfahrung nach ganz und gar nicht.
    Ich darf mich glücklich schätzen, dass unser Dôjô mehr Kinder als Erwachsene zu seinen Mitgliedern zählt, von denen ca. ein Drittel Mädchen sind. Unsere ältesten Mitglieder sind 80 und 66 Jahre alt, und an dem Fleiß und Ehrgeiz sowohl dieser beiden, als auch unserer Damen könnte sich so mancher junge, sportliche Mann durchaus eine Scheibe abschneiden.
    Es tut mir leid, wenn der obige Satz zu Missverständnissen geführt haben sollte, und ich hoffe, ich konnte sie hiermit wieder etwas ausbügeln. Zu einem Probetraining bist Du natürlich jederzeit willkommen. ;)
    Ansonsten alles Gute
    Max