Respekt, Hygiene und ein (Bügel-)Brett vorm Kopf

Ende August hat der Budo Bum einen tollen Artikel über „Vertrauen“ beim Kampfkunsttraining geschrieben (siehe http://budobum.blogspot.de/2013/08/trust-in-dojo.html). Innerhalb kürzester Zeit, schreibt er, könne man beim Training tiefgehendes Vertrauen zu Menschen entwickeln, die man gerade zum ersten Mal getroffen hat. Denn man legt sowohl die eigene körperliche Unversehrtheit als auch seinen Selbstrespekt (fast) völlig in die Hände des Trainingspartners und erfährt umgehend, wie derjenige damit umgeht. Das daraus erwachsende Vertrauen ermöglicht es auch, gewisse Techniken in einer Art und Weise zu üben, die schmerzhaft sein kann, ohne aber dieses gegenseitige Vertrauen aufs Spiel zu setzen. Im Gegenteil, die Grenzen der Beziehung werden hinausgeschoben und das Vertrauen vertieft.

Ich würde nicht so weit gehen, die Gefühle zu einem Trainingspartner von Anfang an als „Vertrauen“ zu bezeichnen. Zumal natürlich auch nicht verschwiegen werden darf, dass es manchmal Menschen gibt, die die Trainingssituation ausnutzen, um ihre Partner in einer Weise zu missbrauchen, die von Anfang an kein Vertrauen aufkommen lässt. Auch im Aikidō! Um ein solches Vertrauen aufkommen zu lassen, bedarf es meines Erachtens nämlich gewisser Grundvoraussetzungen bzw. einer oder mehrerer Vorstufen, die ich der Einfachheit halber unter dem Titel „Respekt“ zusammenfassen möchte. Gerade auch der Respekt, wie er sich an meinem Verhalten gegenüber anderen Menschen und ihrem Eigentum oder meinem Befolgen der Dōjō-Etikette zeigt. Oder etwa einer gewissen Bescheidenheit, die sich darin äußert, dass man eigene Maßstäbe nicht für gottgegeben hält und über gewisse Besonderheiten in einer neuen Schule nicht die Stirn runzelt.

Wann immer ich eine mir fremde Schule besuche, verhalte ich mich still und unauffällig und versuche so gut wie möglich, das Verhalten der anderen Anwesenden zu kopieren. Wenn mich jemand auf einen Fehler hinweist, hinterfrage ich das nicht mit einem vorlauten „Warum?“, sondern bedanke mich für die Hilfe. Auch habe ich kein Problem damit, in einer mir stilfremden Schule einen weißen Gürtel umzubinden oder am Training eines Lehrers teilzunehmen, der niedriger graduiert ist als ich. Wenn ich irgendwo zu Besuch bin, lasse ich also nicht den großen Max raushängen, sondern verhalte mich genauso: Wie ein Besucher, der sich an die Regeln vor Ort zu halten hat. Auch das ist ein Zeichen von Respekt!

Diejenigen, denen das alles noch etwas zu abstrakt ist, seien auf ein einfacheres, konkreteres Beispiel hingewiesen. Und zwar auf den zwischenmenschlichen Respekt, wie er sich in persönlicher Hygiene und Ordnung niederschlägt! Was gewisse Leute sich selbst antun, bleibt ihnen überlassen. Aber es gibt nichts Unangenehmeres als einen stinkenden Trainingspartner, sei es, weil er selbst ungewaschen ist oder er dringend seine Zähne putzen sollte, oder weil sein Anzug nach mehreren schweißtreibenden Trainingseinheiten lustig vor sich hinrottet und quasi ein Eigenleben entwickelt. Von dreckigen, ungeschnittenen Finger- und Fußnägeln, mit denen Traingspartnern die Haut aufgekratzt wird, brauche ich, glaube ich, gar nicht erst anzufangen.

Dass Trainingsteilnehmer auf persönliche Sauberkeit achten, darf man durchaus voraussetzen. (Obwohl ich zugeben muss, dass ich Schwierigkeiten habe, ganz auf Knoblauch zu verzichten.) Ein ungewaschener, müffeliger Körper bzw. Anzug ist eine Zumutung für jeden Trainingspartner und zeugt daher von mangelnder Rücksichtnahme und Respekt gegenüber seinen Mitmenschen. Darum habe ich auch großes Verständnis für Schulen, wo die Sauberkeit der Teilnehmer und ihrer Anzüge festen Regeln unterworfen, kontrolliert und bei Defiziten in der einen oder anderen Form bestraft wird. Ob man Wert darauf legen sollte, dass Trainingsanzüge gebügelt werden, sei dahingestellt. (Man kann auch päpstlicher als der Papst sein!) Aber als Schüler sollte man diese Regeln zumindest aus Respekt heraus einhalten, solange persönliche Hygiene noch nicht selbstverständlich ist.

Umgekehrt darf dieser Respekt allerdings auch keine Einbahnstraße sein. Gerade als Lehrer sehe ich die Gefahr, Schüler auch außerhalb des Trainings als Untergeordnete zu erachten und sie dementsprechend von oben herab zu behandeln. Unter den mannigfachen Gerüchten und Geschichten von Kampfkunstlehrern, denen ihre Position zu Kopfe gestiegen ist, sind mir persönlich auch einige Beispiele bekannt, wo Lehrer das „Vertrauensverhältnis“ zu ihren Schülern nicht nur emotionell (auch finanziell und sexuell) ausgenutzt haben. Regeln aufzustellen und sie durchzusetzen gehört zu den Vorrechten eines Lehrers. Nur müssen die Regeln auch bekannt sein bzw. müssen sie den Schülern mitgeteilt werden!

Einem unbedarften Schüler bzw. Besucher vorzuwerfen, er habe sich despektierlich verhalten, weil er (ahnungslos) seinen Anzug nicht gebügelt habe, und ihn dafür nicht nur zusammenzuscheißen, sondern auch noch zu bestrafen, zeugt in meinen Augen nur von mangelndem Selbstvertrauen auf Seiten des Lehrers und seinem tiefsitzenden Bedürfnis, sich selbst auf Kosten anderer zu profilieren. Respekt, wem Respekt gebührt, aber Respekt muss man sich auch verdienen, indem man anderen Menschen ungeachtet ihrer sozialen Stellung seinerseits Respekt erweist.

Wenn jemand ungewollt eine Regel missachtet, kann man die Person kurz zur Seite nehmen und sie unter vier Augen freundlich darauf hinweisen. Bei Wiederholung kann man schon etwas ungehaltener reagieren und beim dritten Mal mag auch ein öffentlicher Anraunzer vertretbar sein. Alles darüber hinaus verdiente auch einen Ausschluss vom Training. Aber ein Machtmissbrauch wie unter den gerade beschriebenen Umständen würde nur eins bewiesen: Dass ich als Lehrer völlig ungeeignet wäre und keinerlei Respekt verdient hätte!

(Autor: Max Seinsch)

Write a comment

Comments: 2
  • #1

    Svenja (Monday, 07 October 2013 09:58)

    Ich hoffe es gab keinen konkreten Anlass...? Aber ja, ich würde auch nirgendwo trainieren können, wo keine gute Vertrauensgrundlage besteht. Auch, wenn man sich nicht alle Trainingspartner/innen dann aussuchen kann, so ist es für mich immer immens wichtig zu wissen, dass ich meinen Lehrer/innen vertraue und mich im Zweifelsfall an sie wenden kann.

    ... Mir fällt es auch schwer auf Knoblauch zu verzichten. ;-) Aber man muss ja kein Gyros-Tzaziki direkt vorm Training essen!

  • #2

    Max Seinsch (Monday, 07 October 2013 14:42)

    Hallo Svenja,
    danke für Deinen Kommentar.
    Nein, einen konkreten Anlass gab es nicht. Ich hab nur eine kleine Geschichte von anderswo in den falschen Hals bekommen und das zum Anlass genommen, ein paar Gedanken, die mir im Kopf herumschwirrten, zusammenzufassen.
    Und seit ich mein eigenes Dojo habe, habe ich glücklicherweise immmer eine Zahnbürste vor Ort. ;)