Punkte zur Beachtung bei Dan- und Kyū-Prüfungen

von Endō Seishirō Shihan

(Honbu Dōjō Shihan der Lehrabteilung, Honbu Dōjō Vorsitzender der Prüfungskomission)

Teil 1

(Zu Teil 2)

Zu Beginn:

Im Honbu Dōjō gab es eine Unterredung zu dan- und kyū-Prüfungen, bei der entschieden wurde, die bisherige Art und Weise der Prüfungen nochmals zu überdenken, und, sollte es verbesserungswürdige Aspekte geben, zunächst die Punkte zu verbessern, die man verbessern kann.

Gegenwärtig werden Prüfungen in fast allen Dōjō's der Welt gemäß den Bestimmungen des Honbu Dōjō vom 5. kyū bis zum 4. dan abgenommen. Und bei jeder Prüfung eines jeden Dōjō's übernimmt man das Verfahren, am meisten Wert auf die Basistechniken und -formen (kihon no kata) zu legen, Prüfungsaufgaben und -techniken zu erteilen und sich die technischen Ausführungen der Prüflinge anzusehen.

Heutzutage, wo sich Aikidō in über 80 Ländern der Welt verbreitet hat, haben die verschiedenen Dōjō's ihre eigenen Lehrer, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen und Denkweise das Training leiten. Darum lässt es sich nicht ändern, dass die Lehrweise mehr oder weniger unterschiedlich ausfällt, aber man sollte erst einmal Dōshu's Handbücher als Vorlage nehmen und darauf aufpassen, dass man nicht in eine Richtung geht, die zu sehr davon abweicht.

Man sagt, die japanische Kultur sei eine Kultur der Formen (kata no bunka), während die westeuropäische eine Kultur des Wissens bzw. des Verstandes (chi no bunka) sei. In einer Kultur kommt es von Natur aus aufgrund ihrer Überlieferung zu einer Akkumulation, und im Laufe der Zeit lassen sich sowohl in der Kultur der Formen als auch in der des Verstandes Veränderungen feststellen. Kurz und bündig haben wir uns darum bemüht, unser Ziel zu verfolgen und der Substanz des Aikidō näherzukommen, indem wir über neue Einfälle und die Trial-and-Error-Methode neue Wahrheiten aufnahmen und dadurch alles Unnötige verwarfen.

Auch was Aikidō angeht beginnt man zu lernen, indem man sich jede einzelne Technik und Form einprägt. Formentraining (kata-geiko) wird auch verabredetes Training (yakusoku-geiko) genannt und ist am Anfang eine einfache Methode zum Lernen. Aber wenn man sich alle Formen eingeprägt hat und dann lange so weitertrainiert, besteht die Tendenz, in eine Aushöhlung bzw. in eine Erstarrung zu verfallen. Weil es nun einmal so ist, dass Aikidō vom Anfänger bis zum Erfahrenen mittels der Formen geübt wird, wünsche ich mir, dass man sich, während man seine Erfahrungen anhäuft, die korrekten Umgangsformen (reihō), die richtige Distanz und das richtige Timing (maai), die richtige Blicksetzung (metsuke), gute Balance und korrekte (beim uke verbleibende) Aufmerksamkeit (zanshin) usw. fest einverleibt und ein lebendiges, lebhaftes Formentraining verfolgt.

 

Begrüßung im Sitzen (zarei):

Weil zwei Partner durch das Aikidō-Training gegenseitig Geist und Körper (bzw. Herz und Leib) weiterbilden und auf ein höheres Niveau erheben, stellt die Verbeugung im Sitzen (zarei), die man zu Beginn und am Ende des Trainings ausführt (in Richtung shōmen, d.h. zur Front des Dōjō's, und gegenseitig einander zugewandt) eine wichtige Handlung dar. Verbeugt man sich im Sitzen, tut man dies gegenüber dem Ort, an dem man trainieren darf, und gegenüber dem Trainingspartner mit einem Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts. Man kniet sich mit gestrecktem Rücken in seiza, und achtet darauf, dass man bei der Verbeugung den ganzen Oberkörper nach vorne beugt, ohne den Rücken rund zu machen, den Nacken nach vorne abzuknicken oder das Gesäß zu heben. Wenn man bei einer Prüfung korrekt zarei ausführt, werden sich gleichzeitig auch die eigenen Gefühle beruhigen und man wird sich der Prüfung gegenüber noch besser konzentrieren können.

Sieht man sich auch nur eine Verbeugung im Sitzen an, kann man durchaus mutmaßen, wie weit das Training dieser Person fortgeschritten ist.

 

Angemessenen Abstand (maai) einnehmen:

Zu Beginn einer Prüfung nimmt man erst einmal gegenseitig eine angemessene Distanz ein und führt die Verbeugung im Sitzen (zarei) aus. Im Honbu Dōjō setzt man sich so, dass, shōmen zugewandt, der Prüfling (tori) auf der rechten Seite und sein(-e) Partner (uke) auf der linken Seite sitzen.

Sitzt man sich hierbei einander zu nahe, ist es unangemessen, aber auch wenn man zu weit voneinander entfernt sitzt, ist der Abstand zu weit auseinander gestreckt und deshalb schlaff und kraftlos, und der Begrüßung fehlt die Konzentration.

Nach der Begrüßung im Sitzen nimmt man den Abstand zum Ausführen der Techniken ein. Die gegenseitige Distanz unterscheidet sich mehr oder weniger je nach Angriff des uke, aber für jeden Angriff ist es wichtig einen Abstand einzunehmen, aus dem heraus man mit einem Schritt angreifen kann. Allerdings ist die Trainingsmethode, aus einer großen Distanz heraus gegenseitig den Abstand zu verkürzen und dann anzugreifen, eine Ausnahme.

 

Uke führt seinen Angriff korrekt und genau aus:

Nur wenn man einen angemessenen Abstand eingenommen hat, ist uke in der Lage, tori gegenüber einen korrekten und genauen Angriff auszuführen.

Zum Beispiel für den Fall shōmen-uchi aus ai-hanmi geht uke mit dem vorderen Bein nach vorne und schlägt frontal auf die Stirn des tori. Für den Fall yokomen-uchi aus ai-hanmi macht uke mit dem hinteren Bein einen Schritt nach vorne und schlägt seitlich an die Schläfe des tori. In diesem Fall muss man für yokomen-uchi, den man vom hinteren Bein ausführt (und deshalb einen ganzen Schritt macht), eine etwas größere Distanz einnehmen als für shōmen-uchi.

Für den Fall von katatedori und morotedori [ryōte katatedori] greift uke nicht an, solange er genau vor tori steht (weil man sonst in einer ai-uchi-Position stünde, d.h. beide Partner könnten sich beide gleichzeitig angreifen und gegenseitig ausschalten), sondern uke bemüht sich, der Verlängerungslinie von tori's Arm auszuweichen und tori's Arm schräg von vorn zu greifen. Nachdem uke den Schlag ausgeführt bzw. tori's Arm gegriffen hat, muss er darauf aufpassen, dass seine Körperhaltung nicht nach vorne gebeugt ist und dass seine Hüften sich nicht nach hinten zurückziehen.

Jede einzelne Technik wird ausgeführt, nachdem man sorgfältig den korrekten Abstand eingenommen hat. Es gibt zwar keine detaillierten Bestimmungen betreffs der korrekten Distanz, aber ich hätte gerne, dass man mit der Absicht trainiert, gegenseitig seine fünf Sinne arbeiten zu lassen, und sich dabei Gedanken zum angemessenen Abstand zu machen. Uke sollte sich tori's Bewegungen nach seinem Angriff nicht zu bewusst machen. Zuerst einmal ist wichtig, dass er ordentlich zuschlägt bzw. zugreift.

Wenn uke's Angriff nicht entschlossen und ordentlich ist, kommt tori's Technik auch nicht zu Leben.

 

Gute Balance und korrekte, beim uke verbleibende Aufmerksamkeit nach der Technik (zanshin):

[zanshin sowohl als „verbleibender Geist“, als auch als „verbleibender Körper“ geschrieben]

Tori sollte nach der Ausführung seiner Technik darauf aufpassen, dass er seine Konzentration nicht verliert. Achtet man darauf, dass vom Beginn einer Technik bis zu ihrem Ende die Konzentration nicht abreißt, wird sich auch die Körperhaltung während der Technik wie natürlich regulieren und auch danach kann man einen angemessen Abstand von uke einnehmen.

 

Zusammenfassung:

Seit wir seit April dieses Jahres [2001] die Prüfer zumindest zu den vier obengenannten Punkten vor der Prüfung Anweisungen geben lassen, hört man Stimmen, dass sich auch die praktische Ausführung der Techniken bei der Prüfung selbst verbessert habe.

Die hier aufgeführten fünf Punkte werden beim Training eher oberflächlich abgehandelt, aber weil sie auch einen großen Einfluss auf die praktische Ausführung der Techniken haben, wünsche ich mir, dass man auch im täglichen Training darauf aufpasst und dann bei der Prüfung die Früchte dieses Trainings entfaltet.

 

Fotos:

zarei
zarei

Zarei: Sich mit gestrecktem Rücken in seiza setzen, bei der Verbeugung darauf achten, dass Rücken und Nacken gestreckt bleiben und dass sich das Gesäß nicht hebt.

Shōmen-uchi
Shōmen-uchi
Shōmen-uchi
Shōmen-uchi

Shōmen-uchi: Uke geht mit dem vorderen Bein nach vorne und schlägt frontal auf die Stirn des tori.

Yokomen-uchi
Yokomen-uchi
Yokomen-uchi
Yokomen-uchi

Yokomen-uchi: Uke macht mit dem hinteren Bein einen Schritt nach vorne und schlägt seitlich an die Schläfe des tori.

Katate-dori
Katate-dori

Katatedori: Uke steht nicht genau vor tori, sondern weicht der Verlängerungslinie von tori's Arm seitlich etwas aus und greift schräg von vorn zu.

Morote-dori
Morote-dori

Morotedori [ryōte katate-dori]: Genau wie bei katate-dori weicht uke der Verlängerungslinie von tori's Arm seitlich etwas aus und greift schräg von vorn zu. Hat man zugegriffen, darauf achten, sich nicht nach vorne zu beugen bzw. die Hüften nicht nach hinten zu ziehen.

Aus: Zaidan Hōjin Aikikai Aikidō Tankyū Henshū Iinkai (Hrsg.): Aikidō Tankyū, Nr.22 (Juli 2001), S.40-43.

Übersetzt von Max Seinsch.

Mit freundlicher Genehmigung der Aikidō Tankyū Redaktion.